Neugotik

Neugotische Kirchen sehen ihren Vorbildern aus dem Mittelaltar zum Verwechseln ähnlich. Oft aber wurde der gotische Stil zu perfekt nachgeahmt und wirkt dadurch künstlich und überladen, die Formen erscheinen hart, die Spuren der Geschichte fehlen. Nicht nur im Kirchenbau griff man auf die alten Formen zurück. Schon um 1720 wurden in England auch Schlösser im „Gothik Revival“ gebaut, wie z.B. der Westminster-Palast. König Friedrich der Große ließ nach britischem Vorbild 1755 das Nauener Tor in Potsdam als erstes neugotisches Bauwerk in Deutschland errichten. Er wollte damit wohl an die Macht des mittelalterlichen Kaiserreiches erinnern. So bekam die Neugotik eine nationale Ausrichtung. Dazu trug vor allem die Schrift Goethes „Von Deutscher Baukunst“ (1773) bei. Der Dichterfürst schrieb die Erbauung des Straßburger Münster fälschlicher Weise allein einem genialen deutschen Baumeister zu. Die französische Herkunft der Gotik wurde im Zuge des aufkeimenden Nationalismus bestritten. Auch Dichter und Maler wie Caspar David Friedrich weckten die Begeisterung für die mittelalterlichen Bauwerke. So wurden nicht nur Kirchen, sondern auch Rathäuser (München), Postämter, Schulen oder Bahnhöfe neugotisch erbaut. Über Jahrhunderte unvollendete Großkirchen wie der Kölner Dom wurden jetzt vollendet. Die romantische Sehnsucht nach einer in der Rückschau verklärten Vergangenheit zeigt ihre Spuren auch in den Opern Richard Wagners. Die Phase dauerte bis ca. 1900.

Kirchen aus früheren Stilepochen wurden oft „purifiziert“, d.h. von nicht-gotischen Ausstattungselementen „gereinigt“. Bemalte Decken wurden übermalt, v.a. barocke Altäre und Kanzeln, Chorgestühl oder Grabmale wurden zerstört, Taufengel weggeräumt. Kanzelaltäre wurden unter dem Einfluss des „Neuluthertums“ auseinander gebaut. Dafür sollten die Kirchen wieder Buntglasfenster bekommen wie die gotischen Dome. Im Stil gerieten diese allerdings romantisch. Wichtigstes Beispiel für die neugotische Purifizierung in der Region ist die Bayreuther Stadtkirche, deren gesamte Ausstattung als markgräfliche Hofkirche (mit Wappen, markgräflichen Fahnen etc.) zerstört wurde, bis auf den Renaissancealter, der wegen Geldmangel nicht durch das schon beschlossene Exemplar der „Schreinergotik“ ersetzt wurde. Heute gewinnt die Neugotik in der Denkmalpflege neue Anerkennung.

(Bild: Engel mit Kreuz auf der neugotischen Kanzel der Stadtkirche Bayreuth, 1848)